1999
Plakat
Plakatmotiv 1999
Texte
Dieser Heilige Abend ist der letzte in diesem Jahrtausend.
Und schon deshalb mit vielen Emotionen besetzt. Zahlreiche Weihnachten liegen
hinter uns. Weihnachten in tiefblauen Nächten. Weihnachten der begründeten
Erwartungen und der enttäuschten Hoffnungen. Und Weihnachten 1999 ?
Es begab sich aber zu der Zeit ...
So beginnt die Weihnachtsgeschichte des Lukas im Neuen Testament.
Da wird erzählt von umtriebigen Josef und der schwangeren Maria, dem Machtmenschen
Augustus, den seltsamen Wesen, Engel genannt, und den etwas einfachen Schäfern,
die nicht wissen, wie ihnen geschieht, als sie in der Nacht eine Erleuchtung
haben. Von Jesus ist seltsamerweise wenig die Rede. Dabei ist er es, der Die
Weltgeschichte verändern sollte.
Alte Worte. Vertraute Worte ? Worte wie ein roter Lichtstrahl im Dunkel ?
Oft haben wir sie gehört, auch in der alten Dorfkirche Hergershausen. Die Worte vom Friede auf Erden und dass Gott Sympathie für die Menschen hat.
Seit meine musikalischen Freunde einen Swing unter die Lesung legen, möchte ich nicht mehr auf diese Interpretation der Weihnachtsgeschichte verzichten. Anderen geht es ähnlich. Der eigentliche Höhepunkt der Christnacht sei sowieso die Lesung dieser Geschichte. Sind die anrührenden Momente der Erzählung, die hoffen lassen ? Darauf, dass es hinter den Realitäten dieser Welt mehr gibt ? Dass die Wirklichkeiten nicht so bleiben müssen, wie sie den Anschein haben ? Dass Menschen, Bedingungen, Umstände sich ändern werden ? Dass tatsächlich alles gut wird ?
In der Nacht des 24. Dezember werden wir feiern.
Den Menschen Jesus und seine Geschichte, die irgendwie unsere geworden ist oder werden kann. Stimmungsvoll und besinnlich, mit bluesiger Musik, ergriffen vom Leben, ermutigt von Menschen und dem göttlichen Wort der Erwartung, dass es auf dieser Welt über kurz oder lang anders zugehen wird.
Wir sehen uns. Und warten auf jene Geschichte ...
Predigt
Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging,
dass alle Welt geschätzt würde.
Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit als Cyrenius
Landpfleger in Syrien war.
So beginnt in der Übersetzung Martin Luthers die Weihnachtsgeschichte
von der Geburt Jesu, wie sie Lukas erzählt, indem er das Unbeschreibliche
zu beschreiben versucht.
. Die vertraute Geschichte mit Maria und Josef, den Engeln und den Hirten – erscheint
uns fast märchenhaft, der Wirklichkeit enthoben, wie eine fromme Legende.
Aber sie beginnt, man muss sich das klarmachen, mit dem Namen des römischen
Kaisers, seinen Besatzungsbeamten und der Verordnung einer Volkszählung
zu dem Zweck, die vielfältigen Steuern leichter einziehen zu können,
also mit uns allen bekannten - höchst weltlichen Geschäften.
Jesus, Marias Sohn, wird in unsere harte Wirklichkeit hineingeboren und seine
Geschichte endet in der harten Wirklichkeit am Kreuz. Hier steht der Name Pilatus,
des röm Machthabers.
Sein Leben beginnt und endet in unserer Zeit.
In seltsamen Widerspruch zu den schlichten Umständen seiner Geburt, seinem
klaren Leben, seiner Fähigkeit Gott den Menschen ganz nah zu bringen,
steht unser Weihnachten. Es ist das größte Fest der westlichen Welt
geworden, wenn nicht der Welt überhaupt. Kein anderes Fest wird so gefeiert,
so innig ausgestaltet und vorbereitet wie das Weihnachtsfest. Bis zu Exzessen
des Konsums hin. Man fragt sich heute bisweilen, was ist, wenn die glitzernde
und leuchtende Fest -Verpackung einmal abgestreift ist, überhaupt Kern
und Substanz dieses Festes?
Was ist dran an der Krippe an diesem Kind? Was kann einem das Licht von Bethlehem
bedeuten?
Zunächst: In diesem Kind auf Stroh in einem Winkel der Welt zeigt sich
wie Gott in die Welt: absolut gewaltlos, absolut unerhaben, absolut herrschaftslos,
und absolut unbedrohlich. In Windeln gewickelt ein Kind, voller Bedürfnis
nach Nahrung, Wärme und beschützter Geborgenheit ohne Pomp Klimbim
und Effekthascherei; das ist der Anfang eines Weges Gottes auf Erden. Sehr
einfach und überzeugend.
Was mich daran ergreift ist, dass wir in dieser Geschichte am leichtesten die
unverstellte Liebe Gottes kennenlernen: Ein Gott, der niederkniet vom Himmel,
sich herablässt aus seiner ewigen Wohnung, sich herabbeugt, sich berührbar
macht und verletzbar. Ein menschlicher Gott, einer der das Leben kennt in seinen
Grundvoraussetzungen und Grundbedürfnissen. Gott, der einer von uns geworden
ist.
Keiner weit ab im kosmischen Nichts, schlafend oder desinterssiert, fordernd
oder richtend,
ganz anders, den Menschen nah und zugewandt. Ein Gott, der unsere Obhut braucht.
Was bringt mir der Glaube an so einen Gott? So höre ich Sie fragen? und
das ist ja die Frage an Weihnachten, wenn man das ganze nicht nur auf der Unterhaltungsebene
belassen will.
Was bringt der Glaube an den menschgewordenen Gott, im Angesicht der Schatten
und der Finsternis, die auf 2000 Jahren Kirchengeschichte liegen?: Was bringt
der Glaube an einen menschgewordenen Gott am Ende eines Jahrhunderts, das zu
den schrecklichsten gehört in dem Sinne, was Menschen einander antun können?
Diese Frage ist eine der schwierigsten überhaupt, und es wird mir kaum
gelingen, sie befriedigend zu beantworten. Ich will aber, ohne die kalte Dunkelheit
der Geschichte zu ignorieren und ohne sie heller reden zu wollen, einfach fragen
wie es die ev. Bischöfin Maria Jepsen vor kurzem getan hat, ob sich etwas
geändert hätte an unserer Kirchengeschichte, wenn die Christen der
ersten Jahrhunderte die Krippe statt des Kreuzes als ihr zentrales Erkennungszeichen
ausgewählt hätten. Wenn sie statt des Kreuzes eine Krippe auf ihren
Altären angebracht hätten und auf christlichen Todesanzeigen eine
Krippe statt des Kreuzes? Wenn auf Kirchtürmen Krippen als Erkennungszeichen
ragen würden und junge Mädchen an den Silberkettchen um den Hals
Krippchen trügen statt des Kreuzes. Und wenn die Bischöfe natürlich
auch nicht Kreuze sondern Krippen um den Hals trügen? Ob die Kirchengeschichte
dann friedlicher verlaufen wäre?
Ob dann auch einer hätte sagen können: „In diesem Zeichen,
nämlich dem Kreuz, wirst du siegen? –
In Bethlehem geht es nicht um Sieg, sondern um Hilfe, um Freundlichkeit. Möglicherweise
hätte man Gott in Gedanken nicht so sehr mit dem Tod und dem Kreuz in
Verbindung gebracht als mit dem Leben, das geschützt und bewahrt werden
will.
Für die nächsten zwei Jahrtausende eine Christenheit, die mit der
Krippe statt mit dem Kreuz wirbt, weil sie Leben bewahren will, das wäre
eine gute Idee für die Zukunft.
An der Krippe wird auch deutlich, was mir Weihnachten bringt.
An der Krippe geht es darum, wie mit meiner Schutzlosigkeit und meine Bedürfigkeit
umgegangen wird.
Mein Menschsein wird hier ernstgenommen, mit seinen starken und schwachen Seiten.
An der Krippe muss ich nicht mehr beweisen, was ich alles habe und wie toll,
was ich doch alles kann: hier darf ich sein wie ich bin: mit all meinen Brüchen
im Leben.
An der Krippe muss ich mich nicht mehr abfinden mit der kalten nüchternen
Weltsicht von der Machbarkeit aller Dinge, - mit dem trostlosen : es ist halt
so! An der Krippe geht es einfach um die Freude über das Geschenk des
Lebens und um die Lust an seiner Bewahrung!
An der Krippe interessiert mich nicht mehr das zynische Gerede vom Stärkeren,
der sich immer durchsetzt, mit harten Parolen: es ist halt so: zeig`s denen!
An der Krippe geht es um Mitgefühl, um Hilfe und Obhut Für mich und
andere...
Das Licht von Bethlehem wirft heute seinen Schein auf die Krippen unserer Zeit., auf die behüteten, in denen Kinder in Frieden aufwachsen und sich entwickeln können, aber auch auf die Kinder in Jugoslawien, auf die Kinder und Menschen von Grosny, und in Venezuela, auf die Kinder am Rande der großen Städte in den Slums und auf unsere Kinder, die unseren Wohlstand hoffentlich nicht mit ihrer Zukunft bezahlen. Sie alle sollen zu ihrem Recht kommen, denn sie sind Menschen in Gottes Wohlgefallens.
Lassen Sie uns den Gesang der Engel in Herz und Verstand aufnehmen
Friede auf Erden , das ist Gottes Weihnachts -Verheißung für uns.
Wir wissen nicht, ob und wie sich Frieden verwirklichen wird. Friede ist uns
zugesagt und er ist unaufgebbar.
In unserer Welt, in der sich im digitalen Zeitalter vieles ganz rasch verändert,
fast alles machbar erscheint: brauchen wir ein gutes Maß und eines gutes
Ziel: Was sollte es anders sein als:
Friede auf Erden, Ausgleich für die Armen, Ende des Hungers, Brot statt
Panzer, Hilfe für die geschundene Erde, Schutz und Bewahrung für
unseren blauen Planeten. Frieden auf Erden – schwer erreichbar, ich weiß-
ich halte wider besseren Wissens daran fest:
An der Schwelle zum neuen Jahrtausend wünsche ich uns die unverwüstliche
Hoffnung, dass wir Menschen miteinander und füreinander die Zukunft dieser
Erde verändern können, Frieden für alle, weil wir alle aufeinander
im Leben auf dieser Erde angewiesen sind.
Weihnachten leuchtet uns Gottes Nähe von der Dietrich Bonhoeffer sagt:
Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir was kommen mag. Gott
ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Amen.
Ruth Selzer-Breuninger
Mein Weihnachten
WHW: Mein Weihnachten – Menschen und Meinungen Worte von Schülerinnen und Schülern aus Babenhausen und Offenbach
RSB: Wenn Weihnachten ist, wird immer ganz warm um´s Herz
WHW: An diesem Tag werden Fehler übersehen und mehr verziehen als sonst, weil er für die Menschen ein besonderer Tag ist. Schade, dass nur ein Tag im Jahr Weihnachten ist und nicht 365 Tage lang dauert.
RSB: Musizieren am Heiligen Abend, ich spiele Querflöte, meine Mutter singt und mein Vater verdreht die Augen.
WHW: Ich freue mich, weil an Weihnachten das Baby in meinem Bauch mitfeiert.
RSB: Letztes Jahr sammelte ich Geld am Offenbacher
Marktplatz und habe innerhalb von 2 Wochen 900 Mark
zusammengebracht. Davon habe ich mir ein Flugticket nach
Boston gekauft und Weihnachten und Silvester bei meiner
Schwester verbracht. Es war eine gelungene
Familienzusammenführung, weil ich zur selben Zeit in ein Heim
kam und mit meiner restlichen Familie keinen Kontakt mehr
hatte.
WHW: Seit vier Monaten begleitet mich die
Vorfreude auf meinen Urlaub an Weihnachten. Manchmal
war ich mir sicher: Würde ich Zeit und Geld dafür
haben? Malta, auf dieser Insel war ich noch nicht. Ich
bin jung und möchte die ganze Welt sehen. Zum Glück
muss ich nicht für 20 Bekannte und verwandte
Geschenke kaufen. Also ist die Geldfrage geklärt, die
Bekannten haben sich daran gewöhnt. Ich setze nun mal
Prioritäten, das wissen Sie. Aus dem Urlaub werde ich
meinen Eltern ein Gläschen Sand mitbringen.
RSB: Die traurige Weihnachtsmusik
macht mich depressiv.
Ich verziehe mich irgendwann, weil ich immerzu weinen muss.
Vom Fest der Liebe ist bei mir keine Rede. Seit 3 bis 4 Jahren
ist Weihnachten für mich ein Gräuel. Kurz vor Weihnachten
hat mein Freund mit mir Schluss gemacht. Seit dieser Zeit
läuft so einiges nicht mehr geregelt ab. Wenn die Lichter am
Tannenbaum erlöschen, gehe ich ins Bett, denke nach und bete
und hoffe, dass auch bald Silvester vorbei ist. Überhaupt, das
sind die übelsten Tage im ganze Jahr.
WHW: Das 23.Weihnachtsfest, das ich erlebe ist, eigentlich wie in jedem Jahr. Morgens wird der Tannenbaum geholt, geschmückt und die Geschenke drunter gelegt. Weihnachtsmusik läuft und vielleicht das einige Mal im Jahr ist die ganze Familie zusammen und man muss anständig sein. Wir gehen in die Kirche, obwohl man das ganz Jahr nicht dort ist. Über allem schwebt Gott und das ist ein komisches Gefühl für mich.
RSB: Weihnachten, da habe ich meistens Angst alleine zu sein und all diejenigen, die ich liebe, zu verlieren.
WHW: Von Kindheit an habe ich
mir richtige
Weihnachten gewünscht, so, wie es im Fernsehen zu sehen
ist. Ein richtiges Fest der Liebe und der Familie. Unsere
Familie hat nie wirklich zusammengehalten, wir hatten nie
solche Weihnachten. Seit ich erwachsen bin, ist meine
Familie in alle Winde verstreut. Jetzt sind auch noch meine
Eltern geschieden. Trotzdem habe ich Weihnachten sehr
gern und freue mich immer wieder auf das Fest. Wenn ich
mal eine Familie gründe, feiern wir so richtig mit allem, was,
dazugehört. Vielleicht geht das Leben ja nach Silvester
noch lange weiter.
WHW: Mein Weihnachten – Gedanken ?? Kirchenpräsident Peter Steinacker schreibt uns: So freue ich mich dieses Jahr wieder auf Weihnachten mit seinem Glanz und seiner Lebensfülle und hoffe, dass das neue Jahrtausend ein weinig mehr dieser Freude und des Friedens mit sich bringt, als das Vergangene. Es ist wie alle Zeit in Gottes Hand.
RSB: Chefredakteur Roland Hof schreibt uns: Nicht wegen Christus sind die Menschen in die Kirche gekommen, sondern um der Illusion willen, die die besondere festliche Theatralik bietet und verspricht. Ein Mysterium wird bei freiem Eintritt zelebriert, das geeignet erscheint, kindhafte Gefühle wachrufen. Jene von Glanz, Verheißung, Geborgenheit und Harmonie. Alle Jahre wieder. Aber was sagt mir die märchenhaft verbrämte Sprache der Kirche, was ich nicht schon wüsste und womit ich auch bisher herzlich wenig anfangen konnte?
WHW: Oberbürgermeisterin Petra Roth schreibt uns: An der Schwelle zum Jahrtausend wünsche ich mir, dass unsere Gesellschaft wieder den Weg zu einem besinnlichen Weihnachtsfest findet.
RSB: Karin Schäufler schreibt uns ein Gedicht: Kalt ist´s und dunkel. Ein eisiger Wind heult um das vergangene Jahr. Die Menschen rücken zusammen und reden von dem verpassten Glück, den vertanen Chancen. Sie sprechen von der Hoffnung, dass mit dem Ende ein neuer Anfang geboren wird, ein besseres Leben, ein grandioses Jahrtausend. Ende gut, alles gut. Und die Zeit lacht.
WHW: Lore Selzer schreibt uns: Ich denke, wir müssen im Kleinen anfangen, diese große Kraft Gottes zu achten, zu respektieren, zu lieben und uns von ihr einnehmen zu lassen. Dankbar zu sein, dass er einer von uns geworden ist. Wenn wir seine Botschaft begreifen, können wir, um es mit seinem Liebesgebot zu sagen, unseren Nächsten lieben. Die Menschen heute sind, wie sie sind. Sie sehen weitgehendst noch so aus wie früher, haben heute manchmal blau oder grüngefärbte Haare. Im Grunde aber müssen sie mit den gleichen Widrigkeiten dieser Welt fertig werden, wie zu allen Tagen.
RSB: Ministerpräsident Roland Koch schreibt: Freuen wir uns auf das nächste Abenteuer, das Abenteuer Zukunft. Ich finde es schön, dass immer ein Stück Abenteuer bleiben wird im Leben. Lassen wir uns von der Zukunft überraschen
Lesung; Weihnachtsgeschichte
RSD: Landrat Alfred Jakoubek schreibt: Millennium, der Sprung ins nächste Jahrtausend. Ein weltbewegendes Ereignis, gigantische Feiern, doppeltes Nullproblem, ein Mega-Event, aber auch eine Zeitenwende. Kommt die Menschheit zur Vernunft? Gibt es endlich Frieden überall, keine Gewalt, kein Elend mehr und keine Hungersnöte, mehr miteinander als gegeneinander? Lernen wir endlich, unseren wunderbaren Planeten sorgsam zu behandeln. Schön wär’s. Ich bin ein unerschütterlicher Optimist. Deshalb gebe ich die Hoffnung nicht auf und wünsche mir, wünsche uns allen, dass das so schwer Erreichbare sich erfüllt, im nächsten Jahrtausend, schon bald.
Ruth Selzer-Breuninger
Wolfgang H. Weinrich