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Leistungsgesellschaft

Sprung aus dem Hamsterrad wagen

Squaredpixels/istockphoto.comErfolgs- und Termindruck sowie gestiegene Verantwortung können bis an die Belastungsgrenze gehen. Gibt es einen Ausweg?

Beim Tod des 21-jährigen Wirtschaftsstudenten Moritz Erhardt kursiert die Frage, ob durchgearbeitete Nächte und die ständige Bereitschaft zu Höchstleistungen sein Ende verursachten. Sind die Arbeitsbedingungen härter geworden und betreffen sie auch den Großteil der Beschäftigten?

Im Wartezimmer der Arztpraxis: Die Gespräche kreisen um Stress und Rückenprobleme, auf den Titelseiten der Zeitschriften prangt in großen Lettern das Wort „Burnout“ und großformatige Plakate preisen allerlei Vitaminpräparate zur Steigerung der Leistungsfähigkeit an. Die Auswirkungen zunehmender Anforderungen sind kaum zu übersehen. Auch beim Edelitaliener wird in kleiner Runde in gedämpftem Ton das heikle Thema angedeutet. „Jetzt erledige ich die Arbeit, die früher vier Leute gemacht haben, die Verantwortung ist dadurch zusätzlich gewachsen“, berichtet eine Führungskraft einer großen Fluglinie abends im Restaurant. Der Mittvierziger möchte nicht genannt werden und weiß, dass sein Unternehmen sich zu Personaleinsparungen aufgrund der wachsenden Konkurrenz auf dem Weltmarkt gezwungen sieht. Der Druck auf Arbeitnehmer wie ihn hat zugenommen. Das hat der Stressreport Deutschland 2012 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin gezeigt. Danach haben starker Termin- und Leistungsdruck sowie die Vorgabe schnell zu arbeiten, bei den Befragten subjektiv zugenommen.  

Medikamente zur Leistungssteigerung

Alarmierend erscheinen auch die Ergebnisse des Fehlzeiten-Reports der AOK, der am 22. August 2013 veröffentlicht wurde. Danach gewinnt die Einnahme leistungssteigernder Substanzen an Bedeutung. „Um berufliche Stresssituationen zu bewältigen, haben nach unserer Befragung immerhin fünf Prozent der Arbeitnehmer in den letzten zwölf Monaten Medikamente wie beispielsweise Psychopharmaka oder Amphetamine zur Leistungssteigerung bei der Arbeit eingenommen. Bei den unter 30-Jährigen trifft dies immerhin auf jeden Zwölften zu“, sagte Helmut Schröder, Stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK.

Unternehmer schreiben Arbeitswelt ausschließlich positive Aspekte zu 

Die Unternehmerseite hingegen wies die Behauptungen zurück, dass Stress im Job zu Suchterkrankungen führe. Vertreter der Vereinigung saarländischer Unternehmerverbände veröffentlichten eine andere Auffassung: Arbeitende Menschen seien gesünder als Arbeitslose. Zudem diene Arbeit zur Entfaltung der Persönlichkeit und fördere die Integration in die Gemeinschaft. In einer Erklärung heißt es: „Den Suchtkranken ist nicht damit gedient, sie in ihrer `Opferrolle´ zu bestätigen. Der richtige medizinische und auch gesellschaftliche Ansatz muss solche `Ausreden´ nicht zulassen.“ Ist die Wahrnehmung von zunehmendem, krank machendem Leistungsdruck also falsch?

Globaler Wettbewerb trifft auf menschliche Körperzelle

Dr. Brigitte Bertelmann, Ökonomie- und Sozialreferentin im Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN, schätzt die Lage ein: „Auf die Frage, ob Leistungsdruck krank macht, gibt es keine einfache Antwort, die für alle Beschäftigten gilt. Tatsächlich haben sich die Bedingungen, unter denen sich Unternehmen im globalen Wettbewerb behaupten müssen, in den letzten 25 Jahren erheblich verändert.“ So seien neue Branchen beispielsweise in der Energiewirtschaft entstanden und rasant gewachsen. Doch die Solarindustrie sei nach wenigen Jahren unter starken Wettbewerbsdruck und teilweise in existenzielle Schwierigkeiten geraten, die durch die kurzfristige Kehrtwende in der Energiepolitik noch verstärkt worden seien. Die promovierte Volkswirtin macht klar: „Unternehmen, ihre Führungskräfte und die Beschäftigten müssen sich in immer komplexeren Markt- und Arbeitsbedingungen auf immer schnellere Veränderungen und wachsende Unsicherheit einstellen. Wenn ein erhöhter Stresspegel zu einem  Dauerzustand wird, weil sich keine Phase der Entspannung und "Normalität" mehr einstellt, besteht zumindest ein erhöhtes Krankheitsrisiko.“ Wie belastend dies im Einzelfall erlebt werde, hänge auch von den persönlichen Gestaltungs- und Handlungsspielräumen bzw. den Ohnmachtserfahrungen  der jeweils Betroffenen ab.

Große Krisen wirken sich auf  lokale Unternehmen und ihre Mitarbeitenden aus

Als Folge der Finanzkrise hatten zahllose - auch nicht börsennotierte Unternehmen - unter dem Konjunktureinbruch und unter der restriktiven Kreditpolitik der Banken gelitten. „Wenn in solchen gesamtwirtschaftlichen Krisen Unternehmen in existenzielle Schwierigkeiten geraten, liegt dies oft nicht an der Unfähigkeit der lokalen Unternehmensleitung, Belegschaft oder mangelnder Leistungsbereitschaft. Deshalb können diese Probleme folglich oft nicht aus eigener Kraft bewältigt werden“, erklärt Brigitte Bertelmann.

Äußere Ursachen führen zu erhöhtem Arbeitsdruck und internem Wettbewerb zwischen den Beschäftigten

Viele Unternehmen sahen sich zu Stellenkürzungen, bzw. Umstrukturierungen gezwungen. Werden in solchen Situationen die Betroffenen vor Ort in einen internen "Wettbewerb" gedrängt, erhöhe das den Belastungspegel für alle Beteiligten. „Dabei gibt es keine Gewinner“, hat Brigitte Bertelmann festgestellt. Diejenigen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, fühlten sich oft als Versager. Aber auch diejenigen, die übrig bleiben, fänden sich in einer Situation wieder, in der eine reduzierte Belegschaft oft noch die Kosten der "Umstrukturierung" zu tragen habe. Zudem  belasteten die vorherigen Erfahrungen das Arbeitsklima.

Kombination aus Belastungen am Arbeitsplatz und im privaten Bereich verstärken das Krankheitsrisiko

Das Krankheitsrisiko könne sich tatsächlich signifikant erhöhen, was verursacht werde durch die Kombination von andauernder Unsicherheit, mangelnder Anerkennung, teilweise auch Überforderung durch wechselnde Anforderungen und Arbeitsbedingungen und steigende sowie unklare Erwartungen. Auch die Sorge um die materielle Existenzgrundlage in Form von ausreichendem Erwerbseinkommen, bzw. einer existenzsichernden Rente, könnten zu ungesunder Daueranspannung führen. Die Wirtschaftsexpertin macht deutlich, was diese Belastungen zusätzlich erhöht: „Problematisch ist, wenn die Betroffenen keinen Ausgleich in einem intakten sozialen Umfeld finden, sondern sich in dieser Situation allein und ausgeliefert fühlen.“

Mittleres Management im Kreuzfeuer unterschiedlicher Anforderungen

Führungskräfte sind für den Fall des Scheiterns oder  bei großen Umbrüchen im Unternehmen materiell oft besser abgesichert als die durchschnittlichen Arbeitnehmer. Dennoch stehen auch sie unter großer Anspannung, wie Brigitte Bertelmann erläutert: „Gerade auf denjenigen in den mittleren Führungsebenen lastet oft ein mehrfacher Druck: Sie stellen hohe Erwartungen an die eigene Arbeit und ihren Umgang mit Stress. Zudem fühlen sie sich für die Krankheitsquote der Mitarbeitenden und das produktive Arbeitsklima in ihrem Zuständigkeitsbereich verantwortlich.“ Oft seien sie es, die schwierige personalpolitische Entscheidungen  der Unternehmensleitung umsetzen müssten und selbst persönlich darunter litten.

Unsicherheit durch Befristung

„In den vergangenen Jahren ist die Zeitarbeitsbranche gewachsen und es gibt einen hohen Anteil von befristeten Arbeitsplätzen. Deshalb sind auch die Anforderungen an Flexibilität und Mobilität gewachsen und es entsteht oft ein permanentes Gefühl von Unsicherheit“, erklärt die Ökonomie- und Sozialreferentin. Diese werde dadurch verstärkt, dass in diesen Arbeitsverhältnissen nur schwer kollegiale Vertrauensbeziehungen und ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen könnten. Auch die familiären und anderen sozialen Beziehungen würden durch häufige berufliche Veränderungen und Unsicherheit besonders belastet.

Rückenschmerzen, Bluthochdruck und Migräne zeigen oft die seelische Anspannung

Diese Entwicklung spüren die Krankenkassen. Im DAK Gesundheitsreport vom Februar 2013 heißt es: „Das Burn-Out-Syndrom erfährt einen steilen Anstieg und verzeichnet im Jahr 2012 zehn Fehltage pro 100 Versicherte.“ Zum Teil wird diese Entwicklung so interpretiert, dass Ärzte körperliche Diagnosen hin zu psychischen verschieben. Das wehrt Brigitte Bertelmann ab. Denn Rückenschmerzen, Bluthochdruck und Migräne seien zum Teil stressbedingte körperliche Symptome. Das bestätigt auch Dr. Uwe Simon, er ist psychologischer Psychotherapeut in der Klinik Hohe Mark in Oberursel, die zum Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverband Marburg gehört: „Manche Leute sind sehr leidensfähig und können Stress lange wegstecken. Aber spätestens dann, wenn sich körperliche Stressreaktionen zeigen, also zum Beispiel Magen-Darm-Probleme und Herzprobleme, kann nur noch der Arzt per Krankschreibung für eine Sendepause sorgen.“ Stress könne sich aber auch auf der Ebene des Denkens durch abnehmende Konzentrationsfähigkeit und durch ein zunehmendes Gefühl von Überforderung zeigen. Andere Patienten hingegen reagieren emotional auf Stress durch Ängste, Gereiztheit oder resignieren.

Spaß an der Arbeit und gutes Betriebsklima als Stresskiller

Klar ist allerdings auch: Eine erhöhte Arbeitsbelastung greift nicht automatisch die eigene Gesundheit an. So sind Ingenieure und Naturwissenschaftler mit einem hohen Termin- und Leistungsdruck konfrontiert und müssen mehrere Dinge gleichzeitig erledigen. Dennoch leidet diese Berufsgruppe laut dem Stressreport 2012 am wenigsten unter gesundheitlichen Beschwerden.  Entscheidend ist, dass sie mehr Handlungsspielräume und eine höhere soziale Unterstützung haben als andere Arbeitnehmer. Die Verfasserin der Studie, Andrea Lohmann-Haislah, macht gegenüber „Spiegel Online“ klar: „Ein gutes Arbeitsklima trägt zur Bewältigung von stressigen Situationen bei.“ Auch wer in seiner Arbeit einen Sinn sehe, sei zusätzlich weniger gefährdet. 

Durch seine Berufspraxis hat Psychotherapeut Uwe Simon einige Empfehlungen, um einem Stress bedingten Burn-Out vorzubeugen.

ANTI-STRESS-TIPPS

Beziehungen pflegen:
Wer sich geliebt fühlt, bei dem wirkt sich Stress weniger intensiv aus. Als soziale Wesen sind wir auf tragfähige und unterstützende Beziehungen in unserem Umfeld angewiesen. Umgekehrt gilt: Wer einsam ist, dem machen Stressauslöser stärker zu schaffen. Dabei sind alle drei Beziehungsformen besonders wichtig und wirkungsvoll:
1. Die Beziehung zu sich selbst: Sie ist zeigt sich in Gedanken wie: „Ich sorge für mich.“
2. Die Beziehung zu meinem Gegenüber: Sie ist durch Begegnung und Auseinandersetzung gekennzeichnet.
3. Die spirituelle Beziehung: Die Beziehung zu Gott wirkt sich durch einen Halt gebenden Glauben aus.

Ärger ernst nehmen:
Ärger ist ein entscheidender Stressauslöser. Diese drei Fragen helfen, damit konstruktiv umzugehen:
1. Bin ich im Recht?
2. Ist es mir wichtig?
3. Kann ich etwas ändern?
Wenn man mindestens eine dieser drei Fragen mit „Nein“ beantworten muss, ist es besser von dem Ärger abzulassen und die Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu richten. 

Einstellung ändern: Realistisches Maß statt übertriebener Ansprüche
Die Änderung der eigenen Einstellung ist die zentrale Stellschraube bei der Stressbewältigung, denn sie kann das ganze System beruhigen. Das heißt: Der eigene hohe Anspruch an sich selbst sollte auf ein realistisches Maß angepasst werden. Dann steht von vornherein der gesamte Mensch weniger unter Druck. Die Frage ist also: Muss ich immer oben mitschwimmen oder kann ich auch mit weniger Anstrengung mein Leben ganz gut bestreiten? Das kann dazu führen, dass Manager nach einem Herzinfarkt entscheiden, ein bis zwei Stufen unter ihrer bisherigen Position zu arbeiten.

Zeit zum Abschalten einplanen
Im Tagesablauf sollten immer wieder Entspannungs- und Bewegungspausen eingelegt oder Dinge in Angriff genommen werden, die Spaß machen. Diese Termine sollten genauso ernst genommen werden wie andere beruflichen oder privaten Termine.

Christus spricht: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.

Matthäus 25, 40

Bild: Mit freundlicher Genehmigung von gettyimages/tolga tezcan

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