Anschlag in Berlin
Ein Jahr nach dem Terror auf dem Breitscheidplatz: Innehalten für die Opfer
Jonas Schramm
18.12.2017
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Die Buden rund um die Berliner Gedächtniskirche stehen wieder. Betonklötze umranden den Weihnachtsmarkt, Polizei und Sicherheitskräfte patrouillieren – das neue Sicherheitskonzept soll dafür sorgen, dass sich die Besucher geschützt fühlen. Am 19. Dezember 2016 ist ein Lastwagen hier in die Menschenmenge gefahren. Der Terroranschlag des Tunesiers Anis Amri kostete zwölf Menschen das Leben.
Zur Eröffnung des diesjährigen Weihnachtsmarktes hatte der Pfarrer in die Kaiser-Wilhelm Gedächtniskirche zum Gottesdienst eingeladen. Für Martin Germer war dieser Tag eine emotionale Achterbahnfahrt: „Mir ist zwischendurch immer wieder die Stimme weggeblieben. Das passiert mir, so wie jetzt auch, das ganze Jahr über immer wieder. Weil dann auch so diese emotionale Tiefe, die das Ganze hat, dann in mir aufsteigt“, sagte der Pfarrer dem Deutschlandfunk. „Wir haben uns wieder an die Arbeit gemacht, weil das unser Beruf ist und weil Existenzen daran hängen, ebenso aber auch, weil es nicht sein kann, dass wir unser Leben und Handeln von dem bestimmen lassen, was irregeleitete Menschen mit solchen Anschlägen bezwecken wollen“, sagte er in seiner Predigt für die Schausteller.
Am Tag des Anschlags bleibt der Weihnachtsmarkt geschlossen
Am 19. Dezember diesen Jahres soll der Markt geschlossen bleiben. Der Anschlag hat die Gemeinde das vergangene Jahr immer wieder beschäftigt, so Germer. Für ihn war es von Anfang an ganz klar, dass er als Pfarrer Ansprechpartner sein wollte. „Das war manchmal anstrengend und herausfordernd, das war aber auch so, dass wir manchmal das Gefühl hatten: Wir sind hier die Richtigen am richtigen Ort.“ Die Erinnerung an die intensiven menschlichen Erfahrungen lassen in ihm immer beim Sprechen stocken. Der Jahrestag biete eine Chance „nachzuholen, was im vergangen Jahr in der Öffentlichkeit vermisst worden ist: Öffentlich sichtbare Anteilnahme zu zeigen“. Er hatte Kontakt zu Angehörigen, Hinterbliebene und Verletzten und erzählt, dass es viel Anteilnahme gegeben habe und für einige seien der Breitscheidplatz und die Gedächtniskirche immer noch belastete Orte.
„Die Pfarrer, Seelsorger und Ehrenamtlichen haben großartige Arbeit geleistet“
Die Gedächtniskirche in ihrer Form ist ein „Ort, der die Verletzung bereits in sich trägt“, sagt Pfarrerin Ulrike Trautwein. Die Generalsuperintendentin des Sprengels Berlin und ehemalige EKHN-Pfarrerin beschreibt, dass diesem mahnenden Symbol gegen den Krieg ein weiteres „schreckliches Ereignis hinzugefügt“ wurde. Sie schaut mit großem Respekt und Stolz auf die Arbeit der Pfarrer, Notfallseelsorger und Ehrenamtlichen. „Sie waren in der Kirche präsent und haben sich um die Angehörigen, die Schausteller und jeden, der kam, gekümmert. Sie haben großartige Arbeit geleistet.“
Folge des Anschlags: Kontakt zu muslimischer Gemeinde
Pfarrer Germer berichtet, dass in Folge des Terroranschlags eine enge Zusammenarbeit mit der Dar as-Salam Moschee aus Berlin-Neukölln entstanden ist. Im März gab es beispielsweise eine gemeinsame Friedenskundgebung zusammen mit Vertretern weiterer Religionsgemeinschaften. Die Moschee gilt als umstritten und wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Germer sieht alleine in dem interreligiösen Kontakt einen Fortschritt. „Wir wollen das Gespräch suchen“, so der Pfarrer. „Wir brauchen es, dass die Muslime sichtbar werden, die sich für den Frieden einsetzen“, ergänzt er. Germer betont, dass die Bevölkerung ein differenziertes Bild benötige. Daher freue er sich über die neue Beziehung.
Balance zwischen Aufmerksamkeit für den Terror und Innehalten wahren
Zur Arbeit der Gemeinde gehörten im vergangenen Jahr immer wieder Gespräche über den Terroranschlag. Im geschützen Raum der Kirche haben die „verwundeten Seelen“ Hilfe gefunden, so Pfarrerin Trautwein. Daher begrüßt sie, dass auch die Namen der zwölf Opfer bisher keine Rolle gespielt haben. Sie sind inzwischen in die Stufen des Breitscheidplatzes eingelassen worden. „Wir stehen in dem Spannungsfeld, dass wir überlegen müssen, wie viel Raum zum Innehalten können wir geben und wie sehr unterfüttert dies das Anliegen der Terroristen“, so die Superintendentin. Sie betont, dass der Umgang mit dem Terror ein Balanceakt auch in Zukunft bleiben wird.
Der Breitscheidplatz am 19. Dezember 2017
Am 19. Dezember bleibt nicht nur der Markt geschlossen. Bis 14 Uhr ist der Platz nicht öffentlich zugänglich. In der Kirche wird es eine Andacht für die Angehörigen geben, von der die Öffentlichkeit ausgeschlossen ist. Danach können auch Mitfühlende öffentlich Anteilnahme zeigen. 18.30 Uhr gibt es ein ökumenisches Friedensgebet. Im Anschluss ist eine Friedenskundgebung mit Lichterkette auf dem Breitscheidplatz geplant.