Herzlich Willkommen! Entdecken Sie, welche Angebote der EKHN zu Ihnen passen. Über das Kontaktformular und auf facebook sind wir offen für Ihre Anregungen.

Menümobile menu

Digitale Welt

Interview: Wo ist der Kompass für die Digitalisierung?

© iStockphoto, thanasusKreuz auf SmartphoneWie reagiert die Kirche auf die Digitalisierung?

Der „digitale Puls“ der Kirche kann noch beschleunigt werden. Dazu ermutigt Kirchenpräsident Jung vor der Präsentation seines Buches „Digital Mensch bleiben“. Dabei fasst er weiter entwickelte Apps und Internetseiten mit kirchlichen Angeboten ins Auge. Allerdings sieht er auch Risiken der Digitalisierung: „Die Gefahr einer digitalen Diktatur ist zum Greifen nah.“

EKHN/NeetzJung im GesprächKirchenpräsident Dr. Dr. h.c. Volker Jung

Digitalisierung wird Chefsache. Das gilt nicht nur für die bundesdeutsche Regierungsmannschaft, die sich im November 2018 um die Steuerung von Digitalvorhaben kümmern will. Auch Dr. Volker Jung, Kirchenpräsident der EKHN, hat sich der Digitalisierung angenommen, die sich auf große Teile der Gesellschaft auswirkt. Als Theologe und Seelsorger fordert er in seinem neuen Buch „Digital Mensch bleiben“ einen emanzipierten Umgang mit den neuen Technologien. In einem Interview anlässlich seiner Buchpräsentation geht der Kirchenpräsident dem Punkt nach, wie die digitale Entwicklung lebensdienlich gestaltet werden kann.

Was können Leserinnen und Leser von Ihrem Buch erwarten?

Kirchenpräsident Jung: Ich habe versucht, die großen Themenbereiche der Digitalisierung für ein breites Publikum allgemeinverständlich zu beschreiben und dabei theologische Perspektiven aufzuzeigen. Das geht von den Fantasien „immerwährendes Glück“ und „ewiges Leben“ durch digitalen Fortschritt über die Umbrüche in der Arbeitswelt bis hin zu den Herausforderungen im alltäglichen Umgang mit digitaler Kommunikation. Es ist der Versuch, einen Überblick zu geben und vor allem anzuregen, sich mehr mit Digitalisierung zu beschäftigen.  

In Ihrer Rede vor der Synode zum Thema „Digitalisierung“ haben Sie empfohlen, die Frage nach der Lebensdienlichkeit bezüglich einer digitalen Anwendung zu stellen. Können Sie weitere Fragen und Kriterien nennen, die man aus theologisch-ethischer Sicht an die Verantwortlichen einer neuen Anwendung stellen sollte?

Kirchenpräsident Jung: Für mich ist vor allem ein Grundgedanke leitend. Menschen haben Gaben und Fähigkeiten geschenkt bekommen, um mit Gott gemeinsam die Welt zu erhalten und zu gestalten. In diesen Zusammenhang gehört auch die Technik, die Menschen entwickelt haben. Für sie gilt: Sie muss verantwortlich eingesetzt werden. Dazu gehört auch, die Folgen zu bedenken und abzuschätzen. Lebensdienlichkeit heißt hier für mich: Die Technik muss mithelfen, dass die Welt friedlicher und gerechter für alle wird. 

Ein Gremium in der EKD, dem auch Sie angehören, möchte eine Strategie zum Thema „Digitalisierung“ entwickeln. Dabei sollen Arbeitsgruppen u.a. an den Themenfeldern Theologie/Ethik sowie Kommunikation/Kultur arbeiten. Können Sie uns von einigen Ideen, Herausforderungen, Vorhaben oder Plänen berichten?

Kirchenpräsident Jung: Wir haben festgestellt, dass der „digitale Puls“ der Kirche tatsächlich noch beschleunigt werden kann. Dabei ist es wichtig, ganz viele einzubeziehen. Digitalisierung findet ja längst auch in der Kirche statt. Wir haben drei Arbeitsfelder identifiziert: Theologie / Ethik, Kommunikation und Organisation. In allen drei Feldern geht es zunächst einmal darum, möglichst alle zu vernetzen, die bereits in den genannten Bereichen arbeiten. Sehr konkret wird voraussichtlich ein Vorschlag sein, eine App zu entwickeln, die Menschen hilft, Kontakte zu Veranstaltungs- und Beratungsangeboten in Kirche und Diakonie zu finden. Die anglikanische Kirche macht uns das gerade mit dem landeweiten Serviceangebot „Kirche nahe bei Dir“ vor: www.achurchnearyou.com. Und dann denken wir darüber nach, wie wir unterstützen können, dass mehr experimentiert wird. 

Die EKHN hatte bereits im Reformationssommer zur Auseinandersetzung mit der Digitalisierung anhand der Kunstinstallation „Segensroboter“ angeregt, eine kantig-stählerne und blinkende Erscheinung, mit der man per Bildschirm kommunizieren konnte. In diesem Jahr wurde dann in Darmstadt die Roboterfrau „Elenoide“ vorgestellt, die - anders als der Segensroboter der EKHN - über ihre beweglichen Gesichtszüge Gefühle vermitteln kann und warme Hände aus Silikon besitzt. Das Pharma- und Spezialchemieunternehmen „Merck“ überlegt laut Presseberichten, ob sich „Elonoide“ an der Rezeption des Unternehmens einsetzen ließe. Wenn Sie an die oben genannten Maßstäbe denken: Was geht Ihnen bei diesem Projekt durch den Kopf?

Kirchenpräsident Jung: Mit dem Segensroboter wollten wir bewusst einen Impuls geben, um über die Folgen der Digitalisierung nachzudenken. Ich gehe fest davon aus, dass uns in gar nicht so ferner Zukunft Roboter im täglichen Leben begegnen werden. Das gilt übrigens ganz sicher nicht für den Gottesdienst. Von manchen wurde unser Projekt „Segensroboter“ so missverstanden. Also: Pfarrerinnen und Pfarrer werden nicht durch Roboter ersetzt! Ich denke vielmehr an den Einsatz bei eintönigen oder auch kräftezehrenden Aufgaben. Ein Beispiel ist die Pflege. Hier könnten Roboter den Pflegekräften assistieren. Sie sollten aber nicht die menschlichen Pflegekräfte ersetzen. Ziel müsste sein, mehr Zeit und Energie für menschliche Zuwendung zu haben. 

Was macht für Sie persönlich ein Mensch aus – im Verhältnis zur Maschine?

Kirchenpräsident Jung: Tatsächlich stellt uns vor allem die Künstliche Intelligenz immer mehr vor die Frage, was den Menschen eigentlich ausmacht. Für mich ist klar, dass der Mensch mehr ist als das, was durch Maschinen kopierbar ist. Ich denke, dass Maschinen kein wirklich eigenes Bewusstsein haben werden. Sie können menschliches Bewusstsein imitieren, haben aber kein wirkliches eigenes Ich-Bewusstsein. Theologisch gesprochen: Menschen sind von Gott „beseelte“ Wesen. Darin sind sie Gottes Ebenbilder und Gottes Gegenüber. Damit ist auch gesagt: Menschen können glauben, Maschinen nicht. 

Yuval Noah Harari befürchtet in seinem Buch „Homo Deus“, dass uns neue Religionen kontrollieren werden und verändern. Tatsächlich hat der Multimillionär Anthony Levandowski  in den USA eine religiöse Organisation mit dem Namen "Way of the Future" angemeldet. Laut den Anmeldepapieren geht es darum, "die Verwirklichung einer Gottheit zu entwickeln und zu fördern, die auf Künstlicher Intelligenz basiert" und "durch das Verstehen und Verehren der Gottheit zur Verbesserung der Gesellschaft beizutragen." Vielleicht einfach nur eine schräge Aktion, vielleicht aber auch nicht. Mit welcher Haltung begegnen Sie den quasi-religiösen Strömungen im Silicon Valley?

Kirchenpräsident Jung: Ja, manche im Silicon Valley und nicht nur dort sind mit einem regelrecht religiösen Erlösungsanspruch unterwegs. Dazu gehört beispielsweise die Idee, alle Probleme der Welt mit moderner Technik lösen zu können. Dazu gehört auch die Idee, den Tod zu besiegen und die irdische Existenz mit digitaler Hilfe ins Unendliche zu verlängern. Dagegen setze ich die tiefe biblische Überzeugung: Immer wenn Menschen meinen, sie selbst könnten die Welt erlösen, geht es grundlegend schief. Es macht das Leben zur Hölle. Ich meine: Zum besonderen Wert und der Würde menschlichen Lebens gehören auch das  Unvollkommene und die Begrenztheit unserer Existenz. Wir sind eben Menschen und keine Götter. Und das ist gut so.   

China  ist dabei, mittels Digitalisierung seine Bürger anhand einer Art „Sozialkreditsystem“ zu bewerten, bzw. zu „erziehen“. Wer gut funktioniert, soll beispielsweise günstigere Flugtickets bekommen. Bereits in dem Buch „Die Physiker“ hat Dürrenmatt die These aufgeworfen, dass Gedankenmodelle, die einmal in der Welt sind, sich nie wieder beseitigen lassen. Auch die Aussagen von Yuval Noah Harari wirken in dem von Ihnen zitierten Buch „Homo Deus“ beunruhigend, beispielsweise wenn er die wachsende Verbindung von Mensch und Maschine sowie mögliche Folgen beschreibt. Was beruhigt  Sie?

Kirchenpräsident Jung: Wie die Digitalisierung in China genutzt wird, beunruhigt mich in der Tat. Es ist die große Schattenseite der Digitalisierung, dass inzwischen Unmengen von persönlichen Daten gesammelt, systematisiert und auch gegen Menschen genutzt werden können. Die Gefahr einer digitalen Diktatur ist zum Greifen nah. Ein Staat kann moderne Technik zum Wohle aller nutzen oder aber auch, um Menschen zu kontrollieren. Das gilt übrigens nicht nur für Staaten, sondern auch für weltumspannende Konzerne. Hier sind globale Regularien gefragt, die die Politik durchsetzen muss. Wirklich beruhigt mich hier nichts. Ich halte es für wichtig, die Gefahren zu erkennen und alles zu tun, um umzusteuern. In China beunruhigt mich übrigens besonders, dass die Mehrheit das Kontrollsystem gut findet 

Forschungen zeigen, dass auch das Unterbewusstsein von Menschen (mit)entscheidet. Es wird u.a. von Beziehungserfahrungen geprägt – von günstigen, aber auch von ungünstigen Erfahrungen. In Ihrer Rede vor der Synode haben Sie gesagt: „Am Ende bedroht uns gegebenenfalls nicht die Technik, sondern Menschen, die sie entsprechend einsetzen.“ Bleiben wir bei diesem Punkt. Was brauchen Menschen auf emotionaler Ebene als Voraussetzung, um ihrer Entscheidungs-Verantwortung gerecht zu werden? 

Wichtig ist eine starke, verantwortungsbewusste Persönlichkeit. Wir müssen angesichts der großen Herausforderungen der Digitalisierung Bildung noch mehr stärken. Und wir müssen uns darauf verständigen, dass Bildung vor allem Persönlichkeitsbildung ist. Es geht darum zu lernen, sich selbst, die anderen Menschen und die Welt besonders wahrzunehmen. Dazu gehört für mich beispielsweise auch kritisch und konstruktiv nach dem Sinn des Lebens und Zusammenlebens in dieser Welt zu fragen. 

Was die Voraussetzungen für gute Entscheidungen angeht: Wo sehen Sie hier einen Ansatzpunkt für die Kirche?

Wir können, so denke ich, einiges dazu beitragen, dass Menschen ein gutes „Orientierungswissen“ bekommen. Und wir können als Kirche selbst eine Gemeinschaft sein, die Diskussionen führt und sich daran beteiligt, die Gesellschaft mitzugestalten. Unsere entscheidende Orientierung ist die im Evangelium begründete Überzeugung: Menschen sind zur Freiheit bestimmt. Deshalb ist kritisch darauf zu schauen, wo neue Abhängigkeiten erzeugt werden. Und es gilt das stark zu machen und zu gestalten, was Freiheitsräume eröffnet. 

Im Frühjahr 2018 in Wittenberg hat der Journalist und Wissenschaftler Jonas Bedford-Strohm von den Aufgaben der Kirche im digitalen Zeitalter gesprochen. Stichworte waren: Kirche solle der digitale Wegweiser ins Analoge sein, er sprach vom „Primat der Begegnung“, und empfahl dort aufzutauchen „wo Menschen ihre Probleme haben“, und dass unsere Seelsorge-Struktur einen großen Wert habe. Welche Gedanken haben Sie zu diesen Ideen?

Da kann ich voll zustimmen. Wir brauchen eine gute Verknüpfung von digitaler und analoger Kommunikation. Die Seelsorge ist da ein Bereich. Aber auch alle anderen Angebote, bei denen sich Menschen treffen und miteinander reden, sollten natürlich verlässlich und gut digital kommuniziert werden. Außerdem wäre es gut, wenn vor Ort Plattformen zur Verfügung stünden, um sich geschützt miteinander auszutauschen. Da kann man sich dann auch gut zur analogen Begegnung verabreden oder auch gegenseitige Hilfe organisieren. All das gibt es bereits und wir sollten als Kirche mitmachen oder Eigenes entwickeln. 

Vielen Dank für das Gespräch!

In der Konzentration auf das, was ist,
kann sich so etwas wie ein Raum öffnen,
ein Gewahrsam schärfen für die Gegenwart Gottes.

(Carsten Tag)

Carsten Tag

Bild: Mit freundlicher Genehmigung von gettyimages / rusm

Zurück zur Webseite >

to top