Alles Fügung?
Wie die Zuneigung der Eltern unsere Zukunft mitgestaltet
Heike Berse/pixelio.deKinder21.01.2016 cm Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Evangelisches Zentrum für Beratung in HöchstJudith Rosner, Leiterin der Familien-, Erziehungs- und Jugendberatung des Evangelischen Zentrums für Beratung in Höchst.Ist ein glückliches und erfülltes Leben Zufall oder Schicksal? Eltern können jedenfalls eine Menge dazu beitragen, damit Kinder als Erwachsene Herausforderungen zuversichtlich anpacken und sich stimmig in Beziehungen verhalten. Über die wegweisende Bedeutung der frühkindlichen Entwicklung sprach EKHN-Redakteurin Charlotte Mattes mit Judith Rosner, der Leiterin der Familien-, Erziehungs- und Jugendberatung des Evangelischen Zentrums für Beratung in Höchst.
Frau Rosner, was prägt Säuglinge und Kleinkinder am stärksten?
Judith Rosner: Die ersten Lebensjahre sind die prägendsten. Alle, die in dieser Zeit mitwirken, haben natürlich den größten Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes. Es macht einen Unterschied, wo ich groß werde - ob in einem armen oder reichen Land - ob in Krieg oder Frieden. Gibt es Geschwister oder nicht? Haben meine Eltern Zeit für mich? Welches soziale Netz hat meine Familie? Ein Faktor ist auch, ob die Mutter sich schon in der Schwangerschaft gesund ernährt, raucht oder Alkohol trinkt. Außerdem ist es von Bedeutung, ob die Mutter in einer guten Partnerschaft lebt oder Gewaltbedingungen ausgesetzt ist.
Haben Sie konkrete Beispiele, wie sich die Situation einer Bezugsperson auf das Kind auswirken kann?
Rosner: Zum Beispiel, wenn eine Mutter schwer depressiv ist: Das Kind schaut in ein leeres Gesicht, obwohl es eine Affektspiegelung, also eine Spiegelung seiner Gefühle dringend für seine Entwicklung braucht. Ohne diese Spiegelung kann sich das Kind nicht gut und gesund entwickeln. Auch wenn ein Kind in dieser frühen Lebensphase misshandelt oder vernachlässigt wird oder wenn nicht auf seine Bedürfnisse eingegangen wird, ist das ausschlaggebend für die Entwicklung.
Die Auswirkungen sind individuell. Aber zu was kann Vernachlässigung oder ein unpassender Umgang mit Gefühlen führen?
Rosner: Als Erwachsene sind die Betroffenen zum Beispiel labiler oder nicht so stress-resistent. Sie leben ihre Beziehungen nicht so, wie sich mir und anderen gut tun. Das, was ich nicht bekommen habe, suche ich vielleicht in Ersatzbefriedigungen, dass kann dann zu Suchtverhalten führen. Es kann auch sein, dass ich eine schwierige, symbiotische Nähe in einer Partnerschaft suche, die den anderen erdrückt. Das ist auf Dauer für die Partnerschaft nicht aushaltbar, weil ich etwas suche, das ich zu wenig, falsch oder gar nicht bekommen habe. In der Jugend kann es zu selbstverletzendem Verhalten kommen. Das sind Verhaltensstörungen oder - auffälligkeiten, bei denen wir nicht selten von problematischen Situationen aus der Kindheit in der psychologischen Beratung erfahren.
Wichtig an dieser Stelle ist: Nicht jedes Kind, das Schlimmes erlebt, ist schwer traumatisiert, zeigt später Verhaltensauffälligkeiten oder entwickelt sich ungünstig. Die zentrale Frage hierbei ist: Welche Bezugspersonen standen in welcher Art und Weise an meiner Seite?
Fällt es mir selbst dann auch schwerer, andere Menschen einzuschätzen?
Rosner: Ja, es fällt einem Menschen dann schwerer einzuschätzen, wie denkt, fühlt, bewertet der Gesprächspartner die Situation. Auch was in meinem eigenen Inneren geschieht, lässt sich nicht passend einordnen und kann sich somit nicht so gut entwickeln. Es ist notwendig, dass jemand unsere Gefühle wahrnimmt und aushält, also uns unsere innere Welt verstehen lässt und den Umgang mit Gefühlen gezeigt hat.
Haben Sie Beispiele aus der Therapie, bei denen Menschen sich wegen ihrer Kindheit anders verhalten als sie es sich wünschen?
Rosner: Eine Mutter hat erzählt, dass sie als Kind in die Besenkammer gesperrt wurde, wenn sie nicht brav war. Bei jeder Trotz– oder Wutreaktion gab es Strafe, anstatt Begleitung, aushalten, trösten. Und sie hat dann später als Mutter ihr Kind immer wieder angeschrien: „Was schreist du so, es gibt keinen Grund dafür, du machst mich aggressiv“. Sie konnte das im Laufe der Beratung dann mit ihrer eigenen Kindheit in Verbindung bringen – aber das war ein langer Prozess.
Welche Rolle spielt die Leistungsanforderung der Eltern?
Rosner: Wenn ein Kind von seinen Eltern vor allem wegen seiner Leistung anerkannt wird, dann wird es dadurch beeinflusst. Ich werde mir immer Stress machen, eine Leistung zu bringen, weil ich weiß, dass ich dafür geliebt werde. Wenn Beziehung einen untergeordneten Stellenwert hat, dann wird es mich natürlich auch beeinflussen. Insofern ist immer gut, auch zu überprüfen: Wie hoch ist denn meine Leistungsanforderung an mein Kind? Und: Ist es nicht wichtiger auf die Beziehung zu setzen?
Wie entsteht eine stabile, gute Bindung?
Rosner: Alle Kinder wollen von ihren Eltern geliebt werden. Das ist erstmal das Wichtigste. Sie wollen so angenommen werden, wie sie sind. Mit all ihren Eigenheiten und Besonderheiten, die sie mitbringen. Wenn das gut stattgefunden hat, kann ich im erwachsenen Alter auf eine gute und auch abgelöste Beziehung schauen. Wenn es so ist, dass ich mit Elternteilen immer eine Mangelerfahrung hatte, dann ist es besonders schmerzhaft. Dann ist es eher eine Belastung und keine Ressource, auf die ich zurückgreifen kann.
Was halten Sie denn davon, Babys schreien zu lassen? Darüber gibt es ja die unterschiedlichsten Meinungen.
Rosner: Ganz klar: Das ist ganz, ganz schlecht. Sie können ihr Kind im ersten Jahr nicht verwöhnen. Ein Säugling muss unmittelbar und prompt versorgt werden. Denn sonst empfindet er es als Schmerz. Es entsteht Chaos und Angst. Der Säugling hat ja keine andere Möglichkeit als mit Schreien auszudrücken, dass ihm unwohl ist oder dass er etwas braucht.
Wie können Eltern ihre Kinder zu einer starken Persönlichkeit erziehen?
Rosner: Liebevolle und feinfühlige Eltern, die einen Rahmen geben, also Grenzen setzen. Eltern, die kein Klima der Angst erzeugen. Also zum Beispiel bei schlechten Noten fragen, „Wo brauchst du Unterstützung?“ und das Kind trösten. Wichtig ist auch, dass Eltern gute Vorbilder sind. Zum Beispiel, wenn sie einen gewissen Umgangston wünschen, müssen sie den auch selbst leben. Auch Rituale sind wichtig, denn sie geben Halt. Das Abendritual ist etwas ganz Bedeutsames. Dazu braucht es eine verlässliche Struktur, zum Beispiel: das gemeinsame Abendessen, das Zähneputzen, oder dass Mama immer ein Lied singt oder ein Buch mit mir anschaut.
Sie haben im Vorgespräch von Eltern als „sicheren Hafen“ gesprochen. Was meinen Sie damit?
Rosner: Das heißt: Wenn ein Kind sich ein Stück zu weit vorwagt, dann muss es wieder zurück in den sicheren Hafen. Das Kind schaut, ob das Elternteil noch da ist und es auffängt und ob ihm erklärt wird, was da draußen passiert. Wenn ich dann als Kind erfahre, dass Mama oder Papa sagt: „Du kannst ruhig weiter probieren und ich achte auf dich, ich bin bei dir“, dann kann ich die Umgebung gut erkunden und erforschen. Kinder wollen natürlich, dass die Eltern sehen, was sie tun. Sagen Sie auch ruhig, dass Sie sich über seine Entdeckungen freuen, dann fühlt sich Ihr Kind gesehen, angenommen, wertgeschätzt und kann sicher in die Welt gehen.
Anmerkung der Redaktion: Wenn in diesem Interview von Eltern gesprochen wird, sind die relevanten Bezugspersonen gemeint, dies können auch Adoptiv- oder Pflegeeltern sein.
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